Podcasts im Unterricht

Die Podcast-Welt ist im Umbruch. Die Podcasts mauserten sich innerhalb von rund 10 Jahren zum Massenmedium und riefen die grossen Technokonzerne auf den Plan, die sie sich nun einzuverleiben beginnen.

Schätzungen zufolge werden 2023 rund zwei Milliarden Menschen weltweit Podcasts konsumieren und die Hersteller werden damit einen Erlös von mehr als vier Milliarden Dollar erzielen.

Spotify spielt dabei eine bedeutende Rolle. Die Firma besitzt auch die Podcast-Plattform „Anchor“. 2020 waren 80% aller neuen Podcasts, die bei Spotify eingereicht wurden, bei Anchor untergebracht. Weitere Mitstreiter im Markt werden Apple und Amazon sein.

Künftig werden Podcasts kaum mehr über die Standard-Podcast-Apps konsumiert werden können, sondern werden nur noch über eine der grossen Plattformen zugänglich sein. Podcast-Urgesteine wie der deutschsprachige Podcaster Tim Pritlove bedauert das zutiefst. Das „Kind des freien Netzes“ werde jetzt in die Plattformen der Konzerne integriert.

Dem Medium zum Durchbruch verholfen haben in den letzten Jahren Medienschaffende wie der Amerikaner Ira Glass, der in seiner Radio-Sendung „This American Life“ eine Erzählmethode entwickelt hat, die auch als Podcast hervorragend funktioniert. Zitat aus einem Tagi online-Artikel von Matthias Schüssler vom 12.5.2021: „Anstelle der formellen, distanzierten Berichterstattung, die im Radio bis heute vorherrscht, macht der Podcaster sich selber zur Hauptfigur und macht aus seinen Reportagen einen spannenden Erlebnisbericht. Mit vielen athmosphärischen Elementen, Gesprächsfetzen aus Interviews und Musik angereichert, entsteht ein intimes Hörerlebnis, das an der Schnittstelle von Journalismus und Literatur angesiedelt ist und über mehrere Folgen verteilt eine ähnliche Sogwirkung erzielt wie eine spannende Netflix-Serie.“

Legendär in Amerika ist auch Malcolm Gladwell mit seinem Podcast „Revisionist History“.

Aufnahme:

Als Aufnahme-Tool kann die Standard-Sprachmemo-App des Smartphones eingesetzt werden. Eine bessere Qualität erzielt man natürlich, wenn man ein Kondensator-Mikrophon per USB an ein Notebook anschliesst.

Datenablage:

Die Ton-Dateien lädt man, um sie mit der Klasse zu teilen, am besten auf OneDrive hoch. Das eigene OneDrive können alle Schülerinnen und Schüler auf dem Smartphone synchronisieren und die Dateien auch offline zugänglich machen.

Audiobearbeitung:

Das Integrieren von fremden Tonquellen oder Atmos-Sound macht eine Bearbeitung in einem Audio-Schnittprogramm unablässig. Seit Jahren ist die Gratis-Audacity ein einfaches und bewährtes Mittel für Audiobearbeitung. Schulklassen können in 10-30 Minuten in die Grundfunktionen eingeführt werden.

Anwendungen im Unterricht:

  • Im Fach Geschichte eignet sich das Podcasten für Oral History-Fragestellungen.
  • Im naturwissenschaftlichen Unterricht können aktuelle Experteninterviews die Unterrichtsthemen unterstützen oder noch attraktiver machen. Einer der ersten Podcaster in Deutschland, Tim Pritlove, hat seit Jahren viel Erfolg mit Experteninterviews. Seine Vorbereitung auf die Gespräche sei nur minimal, sagt er, so dass er beim Fragenstellen neugierig, authentisch und offen sei.
  • Auch ein Podcasts mit fiktiven Interview-Schnipseln (Partnerarbeit) zu Themen, die in der Gegenwartsliteratur aufgegriffen werden, ist denkbar.
  • Ein (live-) Podcast könnte auch spannend sein als Vor-Ort-Reportage. Evtl. muss O-Ton noch separat aufgenommen werden oder er kann als Atmos-Klang verwendet werden.
  • Podcast-Beiträge können als Vorbereitung für eine Exkursion hergestellt werden und auf der Exkursion selber dann angehört werden (Vgl. Beispiel unten). Die Tonfiles müssen vorher physisch auf den Smartphones abgelegt werden.
  • Es ist sinnvoll und eine Bereicherung, wenn Podcasts mit weiterem Audio-Material „angereichert“ werden, wie das Ira Glass propagiert (siehe oben).

Beispiele:

Beispiele für Themen zu einer Exkursion auf den Bürgenstock. Alle Schülerinnen und Schüler der Klasse wählten ein Thema:

  1. Autorinnen und Autoren über die Wirkung der Luzerner Bucht
  2. 180-Grad-Rundblick in der Luzerner Seebucht
  3. Geschichte der Dampfschifffahrt auf dem Vierwaldstättersee
  4. Bau des Felsenwegs auf dem Bürgenstock
  5. Der Bürgenstock als möglicher Gastgeber für das WEF
  6. Der Bürgenstock als geologisches Phänomen
  7. Geburtsstunde des Tourismus auf dem Bürgenstock und Belle Epoque
  8. Bürgenstock-Resort heute
  9. Ausblick vom Bürgenstück auf die Innerschweizer Berge und das Mittelland
  10. Die Totentanz-Skulptur bei der Bürgenstock-Kapelle
  11. Baus des Hametschwandlifts
  12. Thermik am Bürgenstock

Aufbau:

Empfehlungen für den Aufbau eines Podcast-Beitrags von max. 5 Minuten Dauer (Vgl. konkrete Audio-Beispiele weiter unten):

  1. Begrüssung. Ein paar Einführungssätze ins Thema. Inhaltsangabe («Ich sage euch, was euch in den nächsten 5 Minuten erwartet»)
  2. Navigationssatz, dass ein neuer Block/ ein neues Thema beginnt («Als nächstes…»). Auch in Form einer Frage möglich («Ihr fragt euch sicher: Wer hat das gebaut?»)
  3. Zwischenfragen ans Publikum stellen (auch z.B. «hört ihr überhaupt noch zu?»)
  4. Cliffhanger einbauen – etwas dann erst später sagen («Das sollte sich als schlimme Fehlentscheidung herausstellen, wie ihr noch erfahren werdet…»)
  5. Zwischenfazit machen («bis jetzt habe ich euch erzählt, wie…)
  6. Wenn es um etwas Bildliches geht – das Bild mit Worten beschreiben («ihr müsst euch das so vorstellen: Unten links…»)
  7. Publikum mit DU ansprechen
  8. Dauer des Podcasts: maximal 5 Minuten
  9. Wenn länger aus einem Originaltext zitiert wird, evtl. sagen «ich zitiere» und am Schluss «Zitat Ende»
  10. Am Schluss eine Verabschiedung, beste Wünsche für den weiteren Verlauf des Tages.
  11. Es ist zu empfehlen, den Podcast-Beitrag erst zu verschriftlichen. Vor allem die Syntax muss an die mündliche Sprache (die nachher produziert wird) angepasst sein. Es ist also von komplexen Haupt- und Nebensatzkonstruktionen abzusehen.
  12. Das Publikum ist nicht in erster Linie ein Fachpublikum. Wie in einem Blog-Post müssen Fachbegriffe, die verwendet, werden, erklärt werden.
  13. Angemessenes Sprechtempo (nicht „bummeln“, aber Endungen auch nicht verschlucken).
  14. Wo es sinnvoll ist, Emotionen in die Stimme hineingeben, nicht monoton sprechen.
  15. Falls möglich, ein gutes Mikrophon benutzen; mit zunehmender Nähe zum Mikrophon wird die Stimme „grösser“ und sonorer.
  16. Darauf achten, dass keine „Popp“-Laute und möglichst wenig Hall entstehen.
  17. Zusätzliches Audio-Material entweder mit einer Ankündigung „einbetten“ oder mit dem Sprechtext „verweben“, indem die Audiospur schon leise zu hören ist und zunehmend lauter wird.
  18. Audio-Signete zu Beginn und am Schluss machen den Podcast als solchen zu erkennen und sind empfehlenswert.
  19. usw.

Podcast-Beispiele (Ausschnitte):

In seinem Podcast-Beitrag zum Trompetenspielen hat Maarten – ganz im Stil von Ira Glass – die Sprecherstimme und Sound-Dateien harmonisch ineinander verflochten. Musik unterbricht den Sprecher nicht, sondern ist erst im Hintergrund hörbar, dann solistisch. Das führt zu einem optimalen Hörerlebnis. Das Auspegeln der Lautstärke benötigt Fingerspitzengefühl:

Tim hat in seinem Podcast-Beitrag darauf geachtet, dass der zitierte O-Ton sorgfältig ausgewählt wird, prägnant ist und dadurch eine gewollte dokumentarische (1. Beispiel) oder kabarettistische (2. Bespiel) Wirkung erzielen kann:

Im Podcast-Beitrag von Melina ist akustisch erkennbar, wie mit der Modulation der Stimme auch Stimmungen wie Heiterkeit, Bewunderung, Spannung ausgedrückt werden können. Diese akustischen „Marker“ unterstützen den Inhalt ideal:

In Diegos Podcast ist von der Qualität der Stimme erkennbar, dass eine Art Werbewirksamkeit intendiert ist. Die weiche und geschmeidige Sprechart imitiert einen Werbespot und ist dennoch themenadäquat. Zudem bewirkt das Integrieren von Signeten (am Schluss) einen Wiedererkennungswert:

Didaktische Feinheiten:

  • Es kann bei der Planung des Podcasts (bei der Verschriftlichung) eine Zwischen-Feedback-Phase eingeschaltet werden (Peer-Feedback oder Feedback Lehrperson).
  • Ausgewählte Podcasts können später auch in einem Blog veröffentlicht werden. In WordPress sieht man automatisch einen Player mit Abspielfunktion (Vgl. Beispiele oben). So können Podcast-Beiträge auch kommentiert werden.
  • Es ist auch ein Indoor-Podcasts-Postenlauf möglich. Mit dem Scannen von QR-Codes kann man auf die entsprechende Seite gelangen.
  • Podcasts können auch zu literarischen Wanderungen einladen. Vgl hierzu den Post „Ausserschulische Lernorte„. Zu literarischen Wanderungen in der Schweiz publiziert hat Barbara Piatti („Es lächelt der See“, Rotpunktverlag, 2013).
  • Podcasts als mp3-Dateien auf dem Smartphone sind zu bevorzugen. Wenn man Schulklassen auf Podcast-Oberflächen arbeiten lässt (spotify, soundcloud, podcast.de, simplecast, anchor.fm usw.), handelt man sich datenschutzrechtliche Schwierigkeiten ein.

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