aMAzing Educators

Kalt ist es geworden. Meist so um die minus zehn bis knapp über null Grad Celsius – oder eben so um 20 bis 30 Grad Fahrenheit. Da der Schnee aber weiterhin auf sich warten lässt und die Tage meist ziemlich sonnig sind, unternehme ich mit meinem «Only in Boston»-Führer gelegentlich Streifzüge durch Boston. Letzte Woche waren das South End und Shawmut an der Reihe. Unterwegs mit der orangen Linie der «T» – die Bostoner Bezeichnung für die U-Bahn –, eingepfercht im morgendlichen Pendlerverkehr glitt mein gelangweilter Blick über die Werbetafeln im Wagen. Meist finden sich dort Angebote von Telekomunternehmen oder von medizinischen Forschungseinrichtungen, welche Probanden für neue Therapieansätze suchen.

Dieses Mal blieb ich aber an einer Werbung hängen, die mich gleich zu meinem Telefon greifen liess, das ja bekanntlich auch ein Fotoapparat ist.

 

aMAzing Educators, Werbeplakat in der orangen Linie der «T» [Quelle: Fs]

«Die Lehrpersonen an den öffentlichen Schulen von Massachusetts bewegen etwas im Klassenzimmer und in der Gesellschaft. Tolle ErzieherInnen. Erzählen Sie uns von ihrem Lieblingslehrer / ihrere Lieblingslehrerin.»

Eine fröhliche Stimmung kam in mir auf. Sie liess mich jedenfalls etwas vergessen, dass ich wohl ein bisschen aufgefallen war: fotografieren im U-Bahn-Wagen und das in der Stosszeit! Daneben musste ich auch etwas schmunzeln, weil das Wortspiel mit aMAzing (MA ist die postalische Abkürzung von Massachusetts) ein weiteres Beispiel ist für die oft sehr kreative Nutzung der englisch-amerikanischen Phonetik. Und schliesslich gefiel mir als Lehrer natürlich besonders die Tatsache, dass die Regierung des Commonwealth im öffentlichen Raum Werbung für die staatliche Bildung macht. Und dies nicht nur mit Bildern von fröhlichen Kindern. Neben Schülerinnen und Schülern sind Lehrerinnen und Lehrer zu sehen: auf Augenhöhe mit einzelnen Schülern, dozierend, mit SchülerInnen diskutierend, die neuesten technologischen Mittel einsetzend. Dazu die klare Botschaft: Lehrpersonen bewegen! Nicht nur bezüglich des Lernens in Schulen, sondern auch gesamtgesellschaftlich!

«Back Bay – next station – doors open on the left —  Back Bay,» schnarrt es in U-Bahnisch aus dem Lautsprecher. Ich werde vom Pendlerstrom mitgerissen und auf das Perron gespült.

Die Gedanken bleiben beim Plakat. Schnell suche ich mit meinem Telefon, das ja auch ein Taschencomputer ist, im Internet die dazugehörende Internetseite.

 

Screenshot von der Homepage des «Massachusetts Department of Elementary and Secondary Education» [Quelle: aMAzingEducators, 16.1.2019]

Lehrpersonen tragen am meisten zur Bildung und Erziehung der SchülerInnen bei, heisst es dort. Und man wird eingeladen, selbst ein Teil dieses wichtigen Unternehmens zu werden. Denn Lehren ist – so eine der Botschaften im Internetauftritt – eine Kunst und eine Wissenschaft, ungemein schwierig, ungemein fruchtbringend und ein ungemein wichtiger Beruf. Neben der Lieblingslehrperson werden jedes Jahr auch die besten MINT- und (man höre und staune!) Geschichtslehrpersonen (wobei mit Geschichte die Geschichte der USA gemeint ist, aber immerhin!) ausgezeichnet.

Da wird einem der Honig gehörig ums Maul geschmiert. Und das von höchster staatlicher Stelle. Natürlich weiss ich, dass auch das Land der Freiheit und Gerechtigkeit für jedEn nicht das irdische Paradies für Lehrerinnen und Lehrer ist. In Los Angeles, einem Schulbezirk mit rund 600’000 Schülerinnen und Schülern, streiken zur Zeit gut 30’000 Lehrpersonen, um mehr Mittel zu erhalten für kleinere Klassen (momentan umfassen Mittel- und Oberstufenklassen bis zu 32 SchülerInnen) und mehr Personal (inklusive für Schulkrankenpflege, Schülerberatung, Bibliotheken usw.). Sparmassnahmen prägen die Realität, auch in den USA. Und natürlich geht es auch um die Löhne der Lehrpersonen. Die Förderung von so genannten Charter Schools, privaten Schulen, setzt die öffentlichen Schulen zudem dem Markt aus. Da die konkurrenzierenden Charter Schools einen Geldbetrag pro SchülerIn aus der staatlichen Kasse erhalten, sinken die Finanzmittel der öffentlichen Schulen. Schulen werden regelmässig mit standardisierten Tests hinsichtlich der zu erreichenden Lernziele überprüft. Teaching-to-the-Test ist eine übliche Praxis in den Klassenzimmern.

 

Lehrpersonen und Eltern zeigen in Venice (CA)  ihre Unterstützung für die LehrerInnengewerkschaft [Quelle: Chalkbeat, 16.1.2019]

Dennoch. Die Schulrealität, wie ich sie über meine Tochter erlebe, sieht nicht nur düster aus. Das Engagement der Lehrpersonen für die einzelnen Kinder und der meist sehr herzliche Umgang miteinander an einer sehr multikulturellen Primarschule beeindrucken mich. Mich beeindruckt aber auch, wie der Staat die Lehrpersonen ins Licht rückt. Natürlich klingt diese Kampagne ein bisschen nach der dumpfen «Mitarbeiter-des-Monats»-Geschichte.

Daneben geht es aber doch auch darum, dass die Gesellschaft die Arbeit der Lehrpersonen wahrnimmt und vor allem achtet und schätzt. Natürlich wird die Bildung auch in der Schweiz hochgehalten. KeinE PolitikerIn von links bis rechts wird es versäumen zu betonen, wie wichtig Bildung ist. Diesen «einzigen Rohstoff», den die Schweiz besitze gelte es zu fördern um International konkurrenzfähig zu sein. Dass Bildung aber nicht gratis zu kriegen ist, wird immer wieder einmal ausgeblendet wenn es um Sparmassnahmen für einen «schlankeren» Staat geht (was heutzutage scheinbar das wichtigste Ziel zu sein scheint). Aber Bildung kostet. Finanziell, aber auch gesellschaftlich, emotional. Bildung braucht auch öffentliche Wertschätzung. Wertschätzung gegenüber der Institution Schule. Wertschätzung aber auch gegenüber den Lehrpersonen (und allen anderen, die das Funktionieren der Schulen ermöglichen wie Hausabwarte, SekretärInnen, AssistentInnen, BibliothekarInnen, Mensaangestellte usw.). Bildung und Erziehung sind nicht nur wichtig für die ökonomische Entwicklung, sondern auch zentrale Elemente einer demokratischen Gesellschaft. Und Lehrpersonen sind ein wesentlicher Bestandteil in diesem Bereich — so die Botschaft des Commonwealth of Massachusetts. Sie sind nicht einfach anonyme Funktionäre oder «gutverdienende Ferientechniker», die Steuergelder verschleudern, sondern «tolle Typen», «aMAzing Educators», die etwas bewegen.

Dann wird selbst das Undenkbare denkbar: Lehrpersonen können potentielle LieblingslehrerInnen sein…

 

 

 

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