«The Power of Words»

Während der letzten drei Wochen war intensivst Englisch angesagt. Jeden Morgen vier Lektionen in einer Kleinklasse. Drei Personen (Volksrepublik China, Vietnam und Schweiz) plus Lehrer. Hören, Verstehen, Wortschatz, Grammatik – und vor allem Konversation, im Unterricht und in den Pausen. Neben dem Englisch-Kurs und dem Haushalt blieb deshalb keine Zeit für einen neuen Blog-Eintrag. Das fuchste mich natürlich gewaltig! Überall war (und ist) von den anstehenden Midterm-Elections die Rede, dem ersten Stimmungstest nach zwei Jahren Trump-Administration. Und ich mittendrin. Was für eine Chance!

Dementsprechend verbrachte (und verbringe) ich die Nächte mit dem Schauen der Abendnachrichten auf dem Public Broadcasting Service (pbs) und NBC, um wenigstens up-to-date zu sein über die Geschehnisse. Als Ergänzung zu den Nachrichten verfolgte ich deren satirische Aufarbeitungen durch Trevor Noah (The Daily Show) und Seth Meyers (Late Night with Seth Meyers). [Klammerbemerkung: Man mag einwenden, dass ich mich mit der Wahl meiner Fernsehsender und mit der Lektüre des «The Boston Globe» etwas einseitig über die amerikanische Innenpolitik informiere. Diese Kritik ist berechtigt. Zu meiner Verteidigung möchte ich aber vorbringen, dass das Modem in unserem kleinen Häuschen in Cambridge ebenfalls nicht überparteilich funktioniert. Sobald ich die Website des konservativen Senders Fox-News aufrufe, scheint die Übertragung zu stocken. Warum das so ist, entzieht sich meiner Kenntnis und ich enthalte mich jeglicher Spekulation darüber.]

Letzte Woche waren wir dann im Kapitel 10B angelangt: «The Power of Words». Dabei ging es um das Präsentieren, die Rhetorik, die richtige Wortwahl und Betonung, die Satzmelodie, die Stimmlage und alles was sonst noch relevant ist in Bezug auf das gesprochene Wort. Daneben hörten wir uns Beispiele berühmter Reden an, unter anderem Martin Luther Kings (1929-1968) Rede «I Have a Dream» vom 28. August 1963 anlässlich des «March on Washington for Jobs and Freedom».

Gleichzeitig zum Kapitel 10B wirbelten wie in einem Herbststurm die Nachrichten durch die amerikanischen News-Kanäle und dann durch meinen Kopf. Zunächst waren dies Berichte über Briefbomben, welche an prominente Vertreterinnen und Anhänger der Demokratischen Partei (unter ihnen Ex-Präsident Barack Obama, Ex-Aussenministerin Hillary Clinton oder der Investor, Holocaust-Überlebende und Financier von Bürgerrechtsbewegungen, George Soros) und an das Medienunternehmen CNN gerichtet waren. Während fieberhaft nach weiteren gefährlichen Postsendungen und dem Absender gefahndet wurde, kursierten in republikanischen Twitter-Kreisen auch Andeutungen, dass hinter den Bomben ein Versuch von Anhängern der Demokratischen Partei stehen könnte, die Republikaner und Trump in den Midterms schlecht zu machen. So meinte beispielsweise der Fox-Mitarbeiter Lou Dobbs, Aushängeschild der Wirtschaftsredaktion, dass das ganze nur ein Fake sei:

Twitternachricht von Lou Dobbs, später gelöscht (Quelle: CNN, 3.11.2018)

 

Präsident Trump selbst sah in einem Tweet durch diese Angelegenheit mit den «Bomben» (die Anführungszeichen setzte der Präsident selbst) zumindest die Bemühungen seiner Partei, die Midterms für sich zu entscheiden, in Gefahr:

Donald Trump twittert am 26. Oktober 2018 zu dieser «Bomben»-Angelegenheit, welche den Elan der Republikanischen-Partei zu bremsen droht (Quelle: @realDonaldTrump, 5.11.2018)

 

Der mutmassliche Attentäter wurde am Freitag der selben Woche relativ schnell gefasst: ein in Florida wohnhafter, glühender Trump-Anhänger.

In der Folge kam in der öffentlichen Diskussion die Forderung auf, den Ton im Wahlkampf zu mässigen. Die politischen Auseinandersetzungen hatten seit der umstrittenen Wahl von Brett Kavanaugh in den Supreme Court Anfangs Oktober immer militantere Formen angenommen. In einem Gespräch in der pbs-Newshour vom 25. Oktober 2018 wurde festgehalten, dass die USA seit den 1790-er  (Demokratisierung der USA nach der Unabhängigkeit), den 1860-er (Sklaverei und Bürgerkrieg) oder den 1960-er Jahren (Bürgerrechtsbewegung und Vietnamkrieg) keine derart tiefe Spaltung mehr durchlaufen hätten. Die Ursachen für diese Teilung wurde dabei auch an den politischen Verantwortungsträgern festgemacht:

 

Well, people are really social beings […]. And they respond to the signals that they’re given, particularly for people who they look up to. And our elected political officials are amongst the people who set the norms in the country. […] In the 2016 election, we actually saw this connection between the use of demonizing language of other rising groups, African-Americans, Muslims, women, reporters, and then we actually watched in some rallies where that turned into violent action. So the link between using words that incite people to emotional, reactive stances, and the move next to actual physical violence, it’s a link that’s been well established over time.

 

Während in diesem Gespräch auf pbs eine nur dürftig verklausulierte Nachricht an das Weisse Haus ging, machte dessen Mieter umgekehrt einmal mehr die Medien für die Spaltungen verantwortlich:

Donald Trump twittert am 25. Oktober 2018 zu den «Fake News» der «Mainstream Media» (Quelle: @realDonaldTrump, 5.11.2018)

 

Die vergangene Woche endete dann mit dem blutigen Attentat auf die Tree of Life-Synagoge in Pittsburgh (PA) am 27. Oktober. Elf Menschen wurden während des Morgengottesdienstes am Schabbat getötet, sieben verletzt. Der Attentäter begründete seine Tat damit, dass jüdische Organisationen mithelfen würden, Immigranten in die USA zu schleusen, welche das amerikanische Volk abschlachten würden. Antisemitismus gepaart mit Fremdenfeindlichkeit als Motiv.

Auch wenn Donald Trump sofort gegen Antisemitismus Stellung bezog, konnte er sich des Vorwurfs nicht entziehen, dass sein «Lieblingsthema» in diesem Midterm-Wahlkampf, die «Invasion» durch eine «Karavane» von Immigranten aus Mittelamerika, eine xenophobe Stimmung erzeugen, zumindest in seiner Anhängerschaft. Der CNN-Journalist Anderson Cooper zeigte dem Präsidenten in einem Kommentar zwei Tage nach dem Attentat das Gewicht seiner Worte  auf:

Und es ist so, es kann nie zuviel guten Anstand im Umgang miteinander geben. Diese Aussage stammte von Senator Bernie Sanders [Spitzenpolitiker der Demokraten], als einer seiner Anhänger das Feuer auf einen Repulikanischen Kongressabgeordneten eröffnet hatte. Sanders sass nicht auf einer Schmähkanzel und füllte die Radiowellen mit überhitzter Rethorik, gewalttätiger Metaphorik und Verschwörungstheorien an. Der Präsident weiss, wie man eine Figur macht und er gibt alles zum Besten, was ihm gerade in den Sinn kommt. Was er aber wissen sollte ist, dass die Menschen hören, und – schlimmer – einige handeln auch auf Grund dessen, was sie hören.

 

Der Präsident selbst versuchte es mit der bewährten Twitter-Flucht nach vorne und machte die «Fake News Medien» für das aufgeheizte Klima verantwortlich, indem er diese als «Feinde des Volkes» bezeichnete:

Donald Trump twittert am 29. Oktober 2018 zu den «Fake News Media», die er als «the true Enemy of the People» bezeichnet (Quelle: @realDonaldTrump, 5.11.2018). Was er damit genau meinte, stellte er wenig später (nach einem Proteststurm) richtig, nämlich, dass natürlich nicht alle Medien «Feinde des Volkes» seien (Quelle: @realDonaldTrump, 5.11.2018)

 

Trump als Opfer der Medien, als einsamer, geächteter Kämpfer für «die Wahrheit», für «das Volk». Dass «die Wahrheit» manchmal «nicht ganz» den Fakten entspricht, ficht ihn dabei nicht an. Vor die Tatsache gestellt, dass es keine Beweise für seine Aussage gebe, dass sich in der «Karavane» auch «Unbekannte [gemeint sind potentielle Terroristen und Attentäter] aus dem Nahen Osten» befänden, konterte er lapidar:

Questioned repeatedly about the claim on Tuesday [23.10.2018], Trump conceded hat «there’s no proof of anything» but that terrorists «could very well be» among the group. «I think there’s a very good chance you have people in there» he said. (Quelle: The Boston Globe, 24.10.2018)

 

Wenn «die Wahrheit» öffentlich als nicht den Tatsachen ensprechend entlarvt wird, sind neben den «Fake Media News», welche die «Wahrheit verdrehen» selbst Mitglieder der eigenen Partei, nicht vor brüsken Tweets ihres Präsidenten sicher:

Donald Trump twittert am 31. Oktober 2018 zu Paul Ryans (Mehrheitsführer der Republikaner im Kongress) Entgegnung, der Präsident könne nicht einfach die Verfassung umdeuten (Quelle: @realDonaldTrump, 5.11.2018).

 

Die Macht der Worte, Worte, die zählen. Worte transportieren Aussagen, Gedanken, Gefühle, Ideologien. Kings Rede von 1963 zeigte, wie man in einer aufgeheizten Situation anklagen und im gleichen Moment den Angeklagten die Hand zur Freundschaft und Brüderlichkeit reichen kann. Das Resultat dieser Auseinandersetzungen war der Civil Rights Act von 1964, welcher von Präsident Lyndon B. Johnson vorangetrieben worden war. Dieses Gesetz trug massgeblich zu einer Beruhigung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft bei.

Aktuelle Kommentatoren vermissen diese ausgleichende Haltung beim jetzigen Präsidenten. Selbst Comedians in den Night Shows, welche letztlich in ihrem Fach von der Provokation und Überzeichnung leben, zeigen sich betroffen. Die us-amerikanische Gesellschaft ist vor den morgigen Midterm-Elections nach Meinung vieler politischer Beobachter tief gespalten. Es wird eine (für Midterms) ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung erwartet. Es ist zu erwarten, dass durch diese Wahl die Spaltung nicht unbedingt kleiner werden wird. Umso wichtiger wäre es, Worte besonnen zu wählen – wenn man denn nicht nur Wahlkampf betreiben will. Diese Erkenntnis gilt allerdings nicht nur für die USA. Words matter anyway and everywhere.

«The Power of Words»
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