Zur Person von Brett Michael Kavanaugh (*1965), hat man in den letzten Wochen viel gelesen, gesehen und gehört. Seine Zuneigung zum vergorenen Gerstensaft ist inzwischen sattsam bekannt. Mit 50 zu 48 Stimmen wurde er am 6. Oktober 2018 vom Senat zum neuen Associate Justice of the Supreme Court of the United States gewählt. Seit 1881 gab es kein knapperes Resultat bei Wahlen in das Gremium der Hüter der amerikanischen Verfassung.
Am 9. Oktober 2018 nahm Kavanaugh zum ersten Mal an einer Verhandlung des Gremiums teil, was die spitze Feder der «The Daily Show» für die Weltöffentlichkeit bildlich festhielt (Kameras sind im Gerichtssal des Supreme Court leider verboten…).
Die Vorwürfe sexueller Übergriffe in seiner Jugend- und Studienzeit, sein offenbar übermässiger Alkoholkonsum, sein emotionales Auftreten vor dem Justizausschuss des US-Senats, seine nicht klar erkennbaren Haltungen zu Entscheiden des Supreme Court in umstrittenen Rechtsfragen (Schwangerschaftsabbruch, gleichgeschlechtliche Partnerschaften), sowie seine schwer nachvollziehbare Rolle als Rechtsberater unter Präsident George W. Bush (die Regierung Trump verweigerte dem Justizausschuss des Senats die Einsicht in entsprechende Dokumente aus der Administration Bush), die Protestaktionen unterschiedlicher Gruppen bis zu den Jesuiten und vielen Rechtsprofessoren schienen am Ende zu wenig relevant, um einzelne Senatorinnen und Senatoren ins Grübeln zu bringen. Nach der Vereidigung Kavanaughs entschuldigte sich Präsident Trump im Namen des amerikanischen Volkes für das «schreckliche Leid und den Schmerz», welches Kavanaugh und seine Familie in diesem Wahlverfahren «ungerechtfertigterweise» (die siebentägige Untersuchung des FBI hatte nach Trump «bewiesen», dass alle Vorwürfe sexueller Übergriffe völlig haltlos seien) erdulden mussten. Bereits vor der Bestätigung seines Kandidaten hatte sich der Präsident abfällig über die Frauen geäussert, welche die Vorwürfe vorgebracht hatten, und meinte, junge Männer würden heutzutage «angsteinflössende Zeiten» durchleben.
Präsident Trump konnte mit dieser Wahl einen weiteren Sieg verzeichnen. Einerseits gelang es ihm, gerade noch rechtzeitig vor den Zwischenwahlen im November, endlich eine konservative Mehrheit im Supreme Court zu erreichen. Andererseits konnten er und seine Anhängern auch abweichende Stimmen innerhalb der Republikanischen Partei disziplinieren. Im Vorfeld des Auswahlprozesses war immer wieder von Mitgliedern des Senats die Rede, die allenfalls gegen Trumps Kandidaten votieren könnten. Insbesondere zwei Frauen, die Senatorinnen Murkowski (Alaska) und Collins (Maine) zeigten sich wenig begeistert von Kavanaugh und seiner Haltung zum Schwangerschaftsabbruch und zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Bei einem Kräfteverhältnis von 51 Republikanern zu 49 Demokraten bildeten diese beiden Frauen eine nicht zu unterschätzende Grösse. Würde nur eine dieser beiden Frauen ausscheren, liefe es bereits auf einen Stichentscheid des Vizepräsidenten Mike Pence heraus…
Auf der anderen Seite rückten auch demokratische Mitglieder des Senats in den Fokus, welche allenfalls Trumps Kandidaten unterstützen und damit dessen Resultat verbessern könnten. Es handelte sich dabei insbesondere um drei Demokraten aus den «roten» Bundesstaaten (also Bundesstaaten mit breiter republikanischer Wählerschaft) West-Virginia, North-Dakota und Indiana, welche im April 2017 für den Kandidaten Trumps für das Oberste Gericht, Neil Gorsuch, gestimmt hatten, und sich im November 2018 zur Wiederwahl im Senat stellen (im Senat herrscht ein Rotationsprinzip in welchem sich alle zwei Jahre ungefähr ein Drittel der Senatoren der Wahl stellen muss; die Amtszeit umfasst somit sechs Jahre). Diese Ausgangslage machte sie dafür «empfänglich», auch im Fall Kavanaughs von der Parteilinie abzuweichen, um ihre Wiederwahl im eigenen Bundesstaat nicht zu gefährden. Während sich Joe Manchin aus West-Virginia für diesen Weg entschloss, zog die demokratische Senatorin aus North-Dakota, Mary Kathryn «Heidi» Heitkamp (*1955), ihre eigenen Schlüsse aus dem Bewerbungsverfahren von Brett Kavanaugh.
Obwohl sie 2012 nur mit knapp einem Prozent (konkret 2936 Stimmen) Vorsprung gegenüber ihrem republikanischen Konkurrenten gewählt wurde und ihr die Mehrzahl der Prognosen für den November 2018 einen Rückstand von bis zu zehn Prozent auf ihren republikanischen Herausforderer voraussagen, entschied sich Heitkamp dazu, Kavanaugh ihre Zustimmung zu verweigern. Auch ihre «Nähe» zu Trumps Politik, oder die Tatsache, dass Donald Trump 2016 in North-Dakota mehr als sechzig Prozent der abgegebenen Stimmen erreichte, führten zu keinem Gesinnungswechsel.
Zu Beginn des Auswahlverfahrens hatte Heitkamp noch eine Bestätigung Kavanaughs in Betracht gezogen. Dessen Verhalten während der Anhörung zum Vorwurf des Vergewaltigungsversuches stimmten sie dann aber um. Sie habe die Anhörung ein zweites Mal ohne Ton geschaut und dabei einen Kavanaugh erlebt, der wütend, zornig und nervös gewirkt habe. Zorn sei zwar verständlich, wenn man sich zu Unrecht beschuldigt fühle. Seine Angriffe auf die Demokraten, auf Hillary Clinton und seine aggressiven Gegenfragen Richtung demokratische Senatorinnen im Justizausschuss hätten in ihren Augen aber seine Ehrlichkeit und seine Fähigkeit als Richter zur Unbefangenheit in Frage gezogen. In einem Film, der an ihre Wählerinnen und Wähler gerichtet ist, wurde sie noch deutlicher:
«Als erstes muss ich ehrlicherweise sagen, glaube ich nicht, dass er [Kavanaugh] die Wahrheit gesagt hat. Und selbst wenn er die Wahrheit gesagt hat, hat er sich so voreingenommen gezeigt, dass ich daran zweifle, dass er unabhängig urteilen könnte. […] Es gibt viele konservative Richter, die diese Aufgabe erfüllen können, ohne dass sie das Land entzweien. […] Als Senatorin habe ich die Politik beiseite zu lassen und das zu tun, was für unser Land richtig ist.»
Der Kommentar ihres republikanischen Konkurrenten um das Senatorenamt in North-Dakota, die gesamte #METOO-Bewegung führe nur zu Schikaniererei und Betrügerei, um missliebige Männer zu desavouieren, brachte das Fass schliesslich zum Überlaufen. Die ehemalige Staatsanwältin Heitkamp machte öffentlich, dass ihre eigene Mutter als Teenager Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden sei, was deren gesamtes Leben mitgeprägt habe.
Heidi Heitkamps Senatorenstuhl wackelt. Das hat er schon vor der umstrittenen Bestätigungswahl Kavanaughs.
«The political rhetoric is you can’t vote that way [Kavanaugh ablehnen] if you expect to come back [Wiederwahl in den Senat]. […] And I tell people – Ray and Doreen Heitkamp didn’t raise me to vote a certain way so that I could win. They raised me to vote the right way.» [Heitkamp am vergangenen Wochenende in Wyndmere ND, Quelle: CNN, 12.10.2018]
Man kann in dieser Aussage die trotzige Untergangsrhetorik einer Person lesen, die nichts mehr zu verlieren hat. Man kann Heidi Heitkamp, die sich öfters um überparteiliche Kompromisse im Senat bemühte, aber auch als «Überzeugungstäterin» bezeichnen, die sich ernsthafte Sorgen um Anstand in Gesellschaft und Politik macht. Statt einfacher, populistischer Parolen vernünftige Kompromisse schliessen. Eine in unseren Tagen nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika gefährdete Spezies!