«125.5»

Morgenzopf – Proudly made in Cambridge MA

Klar, eigentlich sollte ein Historiker an diesem Mittwoch über die Vorwahlen berichten und nicht über einen Zopf. Immerhin geht es um die demokratischen Kandidatinnen und Kandidaten für das US-Repräsentantenhaus, den US-Senat und den Gouverneur des Staates Massachusetts im kommenden November. Und immerhin hat in «meinem» Wahlkreis («7th Congressional District») auch überraschend  eine afro-amerikanische Newcomerin gesiegt, was selbst dem Tages-Anzeiger eine Schlagzeile wert ist.

Darauf verzichte ich aber noch – im Moment!

Stattdessen möchte ich über meine samstägliche Arbeit berichten, die im Herstellen eines Hefezopfes für den Sonntag besteht. Diese liebgewonnene Familientradtion gilt es auch in Amerika hochzuhalten, quasi «Swiss-American ethnic-food». Nach zwei Zöpfen bin ich bereits geneigt, als Start-up ins Kultivieren von Saccharomyces cerevisiae einzusteigen. Frische Backhefe scheint hierzulande nämlich eine Marktlücke zu sein. Allenfalls findet man nach langem Suchen in einem Ökoladen irgendwo Trockenhefe.  Wer nun aber vermutet, ich wolle ein Kochbuch erstellen, und sich langsam entnervt die Frage stellt, was denn Hefe mit 125.5 zu tun hat, der sei nun nicht mehr zu stark auf die Folter gespannt.

Die Idee zu diesem Blogbeitrag kam mir  beim Lesen der Gebrauchsanweisung auf der Rückseite des «Yeast» (=Hefe) – Päckchens:

«Aus diesem ein-Viertel-Unzen-Päckchen RED-STAR [Ja, die gibt es nicht nur in Belgrad] Hefe ergeben sich ungefähr Zwei-ein-Viertel-Teelöffel Hefe»???

Ich bin mich ja schon gewohnt, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner – obwohl  geschichtlich von der Aufklärung geprägt – im Unterschied zu ihren nördlichen und südlichen Nachbarn und des grossen Teiles von Europa und der Welt das metrische System nie übernommen haben. Das wurde mir letztmals bewusst, als ich mit einem amerikanischen Auto auf kanadischen Strassen unterwegs war und Meilen in Kilometer pro Stunde umdenken musste. Aber das?

Hilfesuchend griff ich zum Kochbuch, das uns unsere Vermieter zurückgelassen haben:

Pinch? Bushel? Peck? Dash? Jigger?

Und so begann ich zu rechnen, um «meine» Masse mit den amerikanischen Massen zu harmonisieren. Dabei musste ich mir immer wieder vor Augen halten, dass mit «Cups», «teaspoons» und «tablespoons» wahlweise Hohlmasse oder Gewichte bezeichnet werden können. Keine einfache Sache.

Inzwischen habe ich die amerikanische Hefe in mein Zopfrezept integriert (oder umgekehrt). «Mein» Zopf mahnt mich aber auch daran, was Kochen eigentlich auch bedingt: Augenmass («slightly less», «a few», «nearests equivalents»),  Geschmack und Arbeit mit dem, was man in früheren Zeiten in jedem Haushalt zur Verfügung hatte – Löffel, Tassen, Gefässe. Und so finde ich auch in unserem Haushalt Mässchen, Löffelchen mit Viertelzeichen, Buttermodel mit Suppenlöffelskala usw. Und es funktioniert!

Allerdings, eine Verknüpfung der beiden Rezepteinheiten bleibt schwierig und braucht Rechenarbeit. Davon lasse ich als «Phil-Einer» besser bei jeder Gelegenheit die Finger und wende entweder ausschliesslich «schweizerische» oder «amerikanische» Rezepte an. Und… eine Waage mit Angaben in Unzen oder Gramm habe ich zur Sicherheit auch schon erstanden.

 

«125.5»

sehe ich jeweils, wenn ich auf unserer Veranda sitze und zum Nachbarhaus schaue, wo scheinbar ein paar nette junge Leute wohnen. Es steht zurückversetzt von der Strasse zwischen Häusern mit den Nummern 125 und 127. Das Wegrecht haben sie auf der Parzelle des Hauses 125. Ich schlage meine Zeitung auf, lese von den «primaries» und kann mir ein kleines Schmunzeln dabei nicht verkneifen…

«125.5»