«Give ’em a Break»

„Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.

Im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung (1787) wird zu Beginn des Grundrechtekatalogs (Bill of Rights, 1791) die Religionsfreiheit in der Union festgehalten. Einer der prägenden «Gründerväter», Thomas Jefferson (1743-1826), setzt diese Enthaltsamkeit der Legislative bezüglich der Einrichtung und Ausübung einer Religion mit einer «trennenden Mauer» zwischen Kirche und Staat gleich («[…] a wall of separation between Church & State»). Diese Äusserung machte er nicht als Privatmann, sondern als dritter Präsident der Vereinigten Staaten (1801-1809).

Religion und amerikanisches Selbstbild. Boughtons emblematisches Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. George Henry Boughton (1833-1905): Pilgrims Going To Church (1867, Öl auf Leinwand, 73×132; Quelle: https://www.nyhistory.org/exhibit/pilgrims-going-church-0, 13.9.2018)

 

Die Thematik der Trennung von Religion und Staat wird mich im Laufe dieses Jahres wohl noch öfters beschäftigen. Berufsrisiko;-) Warum mir die Trennung von Kirche und Staat aber jetzt schon unter den Fingernägeln brennt, hat mit dem Ferien- und Feiertagsplan meiner Tochter an ihrer Schule zu tun. Neben etlichen zivilreligiösen Feiertagen (Labor Day (September), Indigenous People’s Day (Oktober, oder: Columbus Day), Veterans Day (November), Thanksgiving (November), Dr. Martin Luther King Day (Januar), Presidents Day (Februar, eigentlich: George Washington’s Birthday), Patriots Day (April), Memorial Day (Mai)), finden sich auf diesem Terminplan auch letzte Reste der christlichen Religion in Form von Weihnachten (allerdings im Konglomerat Winter Break versteckt) und Karfreitag. Der Nationalfeiertag (Independence Day) am 4. Juli liegt bereits in den Sommerferien.

Dass man die beiden höchsten christlichen Feiertage (in ihrer westkirchlichen Terminierung wohlgemerkt) nicht ganz ignorieren kann, ergibt sich aus der Geschichte der USA ziemlich von selbst. Dass der Ostermontag dem amerikanischen Kapitalismus zum Opfer fiel, ist ebenfalls nicht verwunderlich. Dies wird aus dem selben Grund wohl auch in der Schweiz nur noch eine Frage der Zeit sein. Interessant wurde es, als ich beim Übertragen der Daten in unseren Familienkalender am 18. September «early release» (Schulschluss um zwölf) und am 19. September «Yom Kippur» notierte. «Yom Kippur» ist der jüdische Feiertag, welcher selbst von vielen areligiösen Jüdinnen und Juden eingehalten wird. An diesem «Tag der Sühne» wird geruht, gefastet und um Versöhnung mit Gott und mit den Mitmenschen gebetet.

Meine katholische Tochter hat nun also unterrichtsfrei an einem jüdischen Feiertag.

Ich gerate damit in die Situation etlicher «meiner» Schülerinnen und Schüler, welche zwar an religiösen Feiertagen unterrichtsfrei haben, aber nichts damit verbinden können. Die einen, weil sie sowieso nichts mit «Religion» bzw. Christentum am Hut haben. Die anderen, weil sie zwar durchaus religiös sind, aber aus Sicht ihrer Religionszugehörigkeit an den «falschen» Tagen unterrichtsfrei haben. Dieser Seitenwechsel ist für mich lehrreich.

Als Lehrer für «Religionskunde und Ethik» freut micht die Berücksichtigung anderer religiöser Feiertage im Schulkalender natürlich.  Das ist «Teaching about Religion» im Quadrat: Verschiedene Weltbilder, Ideen, Überzeugungen und Traditionen werden nicht nur im schulischen Unterricht behandelt, sondern über die Regelung der unterrichtsfreien Tage aus den Schulzimmern auch in das Bewusstsein der Gesamtgesellschaft (oder zumindest in die Haushalte der Schülerinnen und Schüler) getragen. Die Wahrnehmung des «anderen» wird möglich.

Allerdings… ich schreibe vom «anderen», vom «fremden», von der Pluralität. Bis jetzt habe ich nur zivilreligöse, christliche und jüdische Feiertage angesprochen (allenfalls kann man den Indigenous People’s Day noch gesondert aufführen). Atheistinnen und Atheisten mögen mit den zivilreligiösen Feiertagen auf ihre unterrichtsfreien Tage kommen. Zudem liegen diese Feiertage an einem Montag, was es Familien jeglicher Geisteshaltung in einem Land mit nur wenig Ferien (im Durchschnitt zwei Wochen) ermöglicht, mehrere verlängerte Wochenenden einzuplanen. Aber was ist mit Buddhisten, Muslimen, Hindus, Kopten, Drusen und so weiter?

Hätte ich schon einen Familienkalender für das Kalenderjahr 2019, hätte ich zumindest einen muslimischen Feiertag eintragen können. Eid al-Fitr, das Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan, beschert den Schülerinnen und Schülern im Schuldistrikt Cambridge am 5. Juni 2019 einen unterrichtfreien Tag. 2010 hatte die Schulbehörde beschlossen, dass neben Karfreitag, Weihnachten und einem jüdischen Feiertag (entweder Yom Kippur oder Rosh ha-Schana, je nachdem welcher der beiden in eine Schulwoche fällt) auch ein muslimischer Feiertag in den Schulkalender aufgenommen werden soll (entweder Eid al-Fitr oder Eid al-Adha (Opferfest während des Hadsch)). Die Reaktionen darauf waren geteilt. Heftige Kritiker bezogen sich vor allem auf 9/11, andere befanden, ihre Religion (Buddhismus, Hinduismus usw.) habe auch Anrecht auf einen unterrichtsfreien Tag. Innerislamische Kritiker fanden, dass es eventuell etwas verfrüht sei, einen muslimischen Feiertag einzuführen – insbesondere auf Bundesebene. Eine Diskriminierung bestünde nicht wirklich, könne man doch auch individuellen Urlaub für religiöse Feiertage beziehen. Befürworter werteten die Aufnahme eines islamischen Feiertages als Erleichterung, Anerkennung, als Zeichen dafür, dass man «daheim» ist.

Interessant ist die Argumentation der Schulbehörde für die Einführung eines muslimischen Feiertages. Man wollte bewusst Gegensteuer zu den antiislamischen Tendenzen seit den Anschlägen von 2001 geben und klar machen, dass nicht alle Muslime darauf aus sind, Amerikaner zu töten. Ein wichtiges Zeichen sowohl für die Gesellschaft als auch für die Muslime in dieser Gesellschaft. Zentral war aber die Demographie. Die wachsende Zahl der Muslime, so wurde vermerkt, würde dazu führen, dass an gewissen Tagen zu viele Stühle im Klassenzimmer leer blieben. Ein Entscheid also auf lokaler Ebene, dort wo es angebracht ist.

Pragmatismus, wie er nur in einem Einwanderungsland möglich ist? Oder doch auch anderswo? Ein Mitglied des Schulkomitees meinte dazu: “Can’t please everybody […]. You have to do what you think is right.’’ Ein Argument, das zum Denken und Handeln Anlass geben sollte. Nun ja. Vielleicht geht es aber neben diesen ganzen religionspolitischen Diskussionen aus Schülerinnensicht auch nur um «das Eine»: ein unterrichtsfreier Tag…

 

 

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