Annette Studer
Rektorin
Als Rektorin unterrichte ich seit einigen Jahren nicht mehr. Um den direkten Kontakt zu unseren Schülerinnen und Schülern nicht zu verlieren, setzte ich mir daher zum Ziel, im Schuljahr 2024/25 jede Klasse einmal in einer Klassen- oder Unterrichtsstunde mit ihrer Klassenlehrperson zu besuchen. Bei aktuell 37 Klassen erstreckte sich dieses Projekt über das ganze Schuljahr. Im ersten Teil der besuchten Lektionen beschränkte ich mich jeweils aufs Beobachten, im zweiten entstanden viele interessante Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern.

Mehr als die Hälfte der Klassen besuchte ich in einer Klassenstunde. Generell fiel mir die grosse Herzlichkeit und Vertrautheit zwischen den Lernenden und ihren Klassenlehrpersonen auf. Es war deutlich spürbar, dass Letztere für ihre Schülerinnen und Schüler wichtige Ansprechpersonen sind und sie auf wichtige stufenspezifische Themen und Entscheide vorbereiten. In den Klassenstunden der ersten Klassen standen Lernstrategien auf dem Programm, wie das Erstellen und Einhalten guter Wochenpläne und Techniken des Vokabellernens. In diesem Zusammenhang wurde auch ein sinnvoller Umgang mit dem Handy diskutiert, da gerade die Digital-Detox-Woche bevorstand. Die Zweitklässlerinnen und Zweitklässler beschäftigten sich mit der Schwerpunktfachwahl, oder es wurden Besuche der Zentralschweizer Bildungsmesse ZEBI vorbereitet oder ausgewertet. Auch in den fünften Klassen ging es um die Zukunft und die Studienwahl: Zur Vorbereitung von Besuchen des BIZ und der Universität Luzern hatten die Schülerinnen und Schüler einen Test zur Studienwahl ausgefüllt und diskutierten über Kriterien wie Karrierechancen, persönliche Interessen, Lohn und erhoffte Berufszufriedenheit. Ein weiteres wichtiges Thema war die bevorstehende Maturaarbeit: Die Schülerinnen und Schüler stiegen in den Themenfindungsprozess ein und erörterten Gelingensbedingungen. In den sechsten Klassen blickte man auf den Meilenstein Maturaarbeit bereits zurück. Dieser Jahrgang durfte für die Maturaarbeit erstmals auf KI-Tools zurückgreifen und diskutierte über die Erfahrungen damit. Zugleich machte man sich für den Schlussspurt, die Maturaprüfungen, bereit. Hierfür erhielt zum Beispiel eine Klasse von ihrer Lehrerin zum Jahreswechsel 2025 ein Schächtelchen Smarties: Die bunten Pillen sollten symbolisch Mut, starke Nerven, Motivation und Durchhaltewillen verleihen.
Wo meine Agenda oder der Klassenstundenplan einen Besuch in der Klassenstunde nicht erlaubten, besuchte ich eine Lektion Fachunterricht, wobei ich einen Einblick in fast alle Fächer gewann. Am Untergymnasium wurde im Schulbiotop die Entwicklung der Froschlaiche beobachtet und eine Geografieprüfung zu den vulkanischen Förderprodukten vorbereitet. Im Religionsunterricht spielte man ein Kahoot zu Ethik und ethischen Werten. Während die Unterstufenschülerinnen und -schüler in Deutsch noch spielerisch mit Redewendungen jonglierten, bereiteten sich Viertklässlerinnen und Viertklässler mit einem rhetorischen Schlagabtausch zur Frage, ob Abtreibung in allen Ländern erlaubt sein sollte, auf den schulinternen Debattierwettbewerb vor. In Geschichte ging der Klassenlehrer mit gutem Beispiel voran und eröffnete eine Präsentationsreihe seiner Schülerinnen und Schüler zur Renaissance selbst mit einem packenden Vortrag. Der Chemielehrer vermochte seine Klasse mit der Symmetrie von Molekülen zu fesseln und die Wirtschaftslehrerin führte anschaulich in das Obligationenrecht ein. In Musik war Händels Wassermusik Thema und in Französisch parlierten die Maturandinnen und Maturanden abschliessend darüber, ob das Gymnasium eine gute Ausbildungswahl gewesen sei. Angesichts der reichen Themenfülle und der zufriedenen Gesichter in den von mir besuchten Lektionen dürfte letztlich ein klares «Ja» am Ende der Diskussion gestanden haben.

Im zweiten Teil der besuchten Lektionen durfte ich mich und meine Arbeit als Rektorin vorstellen. Schliesslich sollten die Schülerinnen und Schüler auch einen Eindruck davon gewinnen, was hinter den Türen des Rektoratsbüros tagein, tagaus so passiert. Es wurde vermutet, ich müsse wohl sehr viele E-Mails schreiben, Sitzungen und Elternabende leiten. Gut informierte Erstklässlerinnen und Erstklässler liessen sich bestätigen, dass sich die ganze Schulleitung jeden Dienstagvormittag zu einer langen Besprechung treffe. Ein Schüler meinte, auch das Erteilen von Urlauben und Disziplinarstrafen gehöre wohl zu meinen Aufgaben. Es wurde gefragt, ob ich auch die Stundenpläne mache, die Lehrpersonen anstelle und ob ich viel entscheiden könne. Ein vorwitziger Schüler fragte, wie viel Ferien ich hätte und ob ich mehr verdiente als die Lehrpersonen. Wir redeten auch über die Klassen- und Pensenplanung, das neu geplante Schulhaus – die Schülerinnen und Schüler wollten wissen, ob der Bau viel Lärm verursachen werde und ob sie darin dann auch noch Unterricht hätten – sowie die finanzielle Führung einer Schule. Bei der Frage, was wohl in einer Kantonsschule am meisten koste, gingen die Meinungen auseinander und reichten vom Kopierpapier über den Strom und das Essen in der Mensa bis zu den Lehrerlöhnen. Auch mit der aktuellen Gymnasialreform beschäftigten wir uns, in deren Zuge neue Schwerpunktfächer eingeführt werden. Auf die Frage, welche Schwerpunktfächer aus Schüler/innensicht an der Kantonsschule Reussbühl Luzern fehlten, wurden PPP, Informatik, Sport, Italienisch, Politik und Hauswirtschaft genannt.
Je nach Jahrgangsstufe und Zusammensetzung der Klasse waren die Diskussionen zurückhaltender, lebhafter oder fordernder. Zum Abschluss gaben die Schülerinnen und Schüler schriftlich oder mündlich darüber Auskunft, was sie als Klasse auszeichnet, was die Highlights im vergangenen Jahr waren und was sie sich für das nächste Jahr wünschen.
Es fiel auf, dass die meisten Klassen stolz auf ihren guten Klassenzusammenhalt sind, auf ihre Hilfsbereitschaft – man unterstütze einander, wenn jemand etwas nicht verstehe – und auf den respektvollen Umgang miteinander. Ebenfalls auffällig war, dass viele Klassen als sie auszeichnende Eigenschaften ihre hohe Leistungsbereitschaft, ihren Fleiss, ihre Wissbegierde und ihre guten Noten nannten. Wenn alle Schülerinnen und Schüler im Vorjahr promoviert wurden, erfüllte sie dies mit Befriedigung. Dasselbe galt in den Maturaklassen für die Abgabe der Maturaarbeit und generell für ihr Durchhaltevermögen, dank welchem sie es so weit geschafft hätten. Es war eindrücklich, wie sehr die Schule bei allen Klassen im Fokus steht und ernst genommen wird: Der Leistungsdruck bzw. die eigenen Leistungsansprüche sind auf allen Klassenstufen hoch. Gute Noten und gute Zeugnisse wurden sowohl rückblickend als Highlights erwähnt als auch vorausblickend als Wunsch formuliert. Weiter wünschten sich die Schülerinnen und Schüler nicht zu viel Stress und dass sie die Jahrespromotion oder die Matura schaffen.
Trotz Leistungsdruck wirkten die Lernenden generell zufrieden: Die Schule sei streng, aber ok – so der Grundtenor. Der strenge Schulalltag wird offenbar durch besondere Anlässe genügend aufgelockert. Für die ersten Klassen war der Schuleinstieg ein wichtiges Ereignis, die Schuljahreseröffnungsfeier und das Kennenlernen der neuen Kameradinnen und Kameraden. Auch andere Gemeinschaftsanlässe wie die Weihnachtsfeier, das Weihnachtskonzert und die Schulreisen wurden als Highlights genannt. Vielen Klassen ist das gemeinsame Sporttreiben an den Sporttagen wichtig; deshalb wurde gewünscht, dass der Wintersporttag, welcher im Vorjahr wegen schlechtem Wetter und mangelndem Schnee ausgefallen war, heuer unbedingt wieder durchgeführt werde. Am meisten stachen in allen Klassen die Studienwochen, insbesondere «Klassenlager», Schwerpunktfachwochen und Kulturreisen, heraus. Man geniesst es, ausserhalb der Schule gemeinsam Ausflüge zu unternehmen, zu kochen, zu übernachten. Das schweisse zusammen und stärke das Vertrauen zueinander.

Eine Klasse schwärmte davon, im Tessin einen Comic zum Jugendroman Die schwarzen Brüder gestaltet und dessen Schauplätze besucht zu haben. Mehrere Klassen waren stolz auf ihre Umwelteinsätze, zum Beispiel in Graubünden. Eine fünfte Klasse hatte ihr Fremdsprachenpraktikum als «megatolle Erfahrung» erlebt. Aber auch im Schulalltag gab es Höhepunkte: Eine Klasse erwähnte das Vorführen spannender Experimente im Chemieunterricht, eine andere das Erstellen eines Musikvideos, einer dritten gefiel das Bepflanzen des Kürbisbeets im Schulgarten. Und die vierten Klassen schauten befriedigt auf ihre Leitbildwettbewerb-Projekte zurück, mit welchen sie im Vorjahr originelle Beiträge für die Schulgemeinschaft geleistet hatten.
Es waren schöne Einblicke in das Wirken unserer 37 Klassen, und als Rektorin freut es mich, dass es unseren Schülerinnen und Schülern im Allgemeinen gut zu gehen scheint und sie insbesondere in ihrer Klasse und bei ihren Klassenlehrpersonen Vertrauen und Verbundenheit gefunden haben. Wenn sie etwas vermissen, dann Kleinigkeiten: mehr Pflanzen, Sofas, einen Box-Sack, günstigere Preise in der Mensa, mehr Ruhe im dritten Stock. Seit den Besuchen nehme ich öfters von einem Lächeln begleitete Grüsse von Schülerinnen und Schülern in den Korridoren entgegen, halte hie und da einen Schwatz am Kaffee-Automaten oder in der Mensa. Auch läutet es etwas häufiger an der Rektoratstüre, weil Schülerinnen oder Schüler ein persönliches Anliegen deponieren möchten. Das bestärkt und erfreut: Die 37 Besuche haben sich gelohnt!